Leadership Magazin
Der Hernsteiner 1/2022 widmet sich dem Thema "Employee Experience". Wie berühren wir ein Unternehmen? Machen uns Illusionen zu besseren Menschen? Warum brauchen wir mehr Bleibe-Gespräche? Und wie machtvoll ist die Ohnmacht?
Die Ansprüche, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihr Unternehmen stellen, haben sich geändert. Worauf es dabei nunmehr ankommt: die Employee Experience und damit die Art, wie Mitarbeitende etwa die Unternehmenskultur wahrnehmen, ob sie sich wertgeschätzt fühlen, ob ihre individuelle Entwicklung gefördert wird und ob sie in einer ansprechenden Arbeitsumgebung tätig sind. Was Führungskräfte tun können, um die Employee Experience zu verbessern? – Anregungen von Liselotte Zvacek.
Szene Nummer eins: Nach langem Suchen findet die Pflegeeinrichtung eine sehr fähige und talentierte Mitarbeiterin, die als Nachwuchsführungskraft aufgebaut werden soll. Nach drei Wochen verlässt die junge Frau das Unternehmen. In einem Meeting der Geschäftsführung kommt das Thema auf: Führungskräfte und Führungsstrukturen vergraulen die neuen Mitarbeitenden, noch bevor sie wirklich Fuß gefasst haben. Statements wie "Wir haben es uns auch nicht so aussuchen können" oder "Wir wurden auch nicht mit Glacéhandschuhen angefasst!" bzw. "Sind die gar nichts mehr gewöhnt?" waren auf Nachfrage aus dem nachgeordneten Führungskreis zu hören. Die Geschäftsführung sieht Handlungsbedarf.
Szene Nummer zwei: Zwei junge Mitarbeitende organisieren einen monatlichen After-work-Event, zu dem sie ältere, mürrische Kolleginnen und Kollegen einladen, um die Kultur wertschätzender zu gestalten. Sie werden selbst aktiv, statt das Handtuch zu werfen. Der Führungskreis hatte aufgegeben, die Gräben und Verletzungen zwischen den Mitarbeitenden zu schließen. Die Führung nimmt die Initiative überrascht wahr.
Die letzte Szene: Ein junger, interessierter Mitarbeiter hat viele Ideen und Vorschläge und gibt ungefragt Feedback zu möglichen Veränderungen und Innovationen im Unternehmen. Die Geschäftsführung ist so mit sich selbst beschäftigt, dass diese Anregungen nicht gehört werden und stattdessen mit Mikromanagement geantwortet wird. Der Mitarbeiter wird mehr kontrolliert und an die kurze Leine genommen. Halbseidene Scherze über LGBT lassen die Situation eskalieren. Er verlässt frustriert das Unternehmen und hinterlässt eine große Lücke.
Die "Employee Experience" beschreibt, wie Mitarbeitende ein Unternehmen wahrnehmen. Damit bietet sie die Möglichkeit, Motivation, Engagement und Verbundenheit zum Unternehmen zu erklären und in der Folge zu erhöhen. Jacob Morgan beschreibt in "The Employee Experience Advantage", wie drei Faktoren die Erfahrung der Mitarbeitenden prägen: das technologische, das räumliche (physische) und das kulturelle Umfeld. Zu ergänzen ist der Purpose, der Sinn des Unternehmens, ohne den auch das beste Umfeld wertlos ist.
Diese drei Situationen bringen Sie mit einigen jener Menschen in Berührung, die jetzt in die Unternehmen kommen. Es handelt sich um eine Generation, die immer öfter andere Erfahrungen in Schule, Lehre und Studium gemacht hat – weg vom Frontalunterricht hin zum selbstständigen Erarbeiten von Inhalten und im Fall des Maturaabschlusses bis zum Verfassen einer vorwissenschaftlichen Arbeit. Social Media und Streaming-Dienste haben den Globus in die Wohnzimmer geholt. Manches, was vor einigen Jahren noch denkbar war, geht gar nicht mehr: Stark hierarchische Führungsstrukturen, Mikroaggressionen im Bereich Diversity und Ansätze, die auf traditionellen Geschlechterrollen beharren, stoßen ab. Durch die Pandemie hat sich der Fokus der Mitarbeitenden noch stärker verschoben: Weg vom "Arbeiten, um Geld zu verdienen" hin zum "Leisten eines Beitrags zum größeren Ganzen in einer angenehmen Arbeitsatmosphäre". Spürbar wird das auf dem Arbeitsmarkt, wo unter anderem nach IT-Profis und anderen Fachkräften, Pflegekräften, medizinischem Personal und Personal in Gastronomie und Hotellerie händeringend gesucht wird. Hat man endlich fähige Potenzialträgerinnen oder -träger gefunden, gilt es, sie zu halten.
Leichter haben es Start-ups, die von einem Hauch des Besonderen, des Flexiblen und Innovativen umweht werden. Die Attraktivität des Unternehmens zieht magnetisch an, Mitarbeitende möchten gerne Teil dieses neuen, coolen Organismus sein, mitgestalten, am Purpose orientiert. Hier gilt es bloß, diese Anfangsfaszination nicht zu zerstören.
Etabliertere Organisationen haben in diesem Punkt einen Nachteil. Sie wirken weniger hip oder besonders. Hier sind es eher die Sicherheit und mögliche Karrierewege, die Mitarbeitende anziehen. Worauf jemand mehr Wert legt, hängt auch von der Lebensphase ab – gleich nach der Ausbildung mag es andere Attraktoren geben als in der Zeit der Familiengründung, wo immer mehr für beide Geschlechter die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Vordergrund steht. Zum Beispiel kann die uneingeschränkte Karrieremöglichkeit trotz Karenz auch für Väter ein wesentlicher Eckpunkt sein, der Mitarbeitende anzieht und hält. Flexible Arbeitszeiten, die Möglichkeit der Kinderbetreuung und Homeoffice sind hier wesentliche Faktoren, die zu einer Mitarbeiterbindung führen.
Der Begriff der Employee Experience umfasst jedoch noch viel mehr. Er rückt die Momente des realen Erlebens in den Vordergrund, Geschichten, die man einander erzählt, darüber, was man gemeinsam erlebt hat. Diese wirken wie Kitt und die Reflexion darüber, wie man dieses Erleben noch besser gestalten kann, fördert Innovation und macht den Existenzgrund der Organisation bewusster, wodurch man ihn eher mitträgt. Eine gute Employee Experience umfasst eine technologische Ausstattung, die den Bedürfnissen der Mitarbeitenden entspricht, ebenso wie ein ansprechendes physisches Umfeld, also eine entsprechende räumliche Gestaltung der Arbeitsumgebung. Bei beiden Aspekten ist zu berücksichtigen, dass die Rolle des Büros gerade großen Veränderungen unterworfen ist. Der wichtigste Punkt ist freilich eine gute Organisationskultur. Diese besteht nicht aus harten Fakten, sondern aus dem, was "dazwischen" gespürt wird. Wie wird über die Firma gesprochen? Fühle ich mich als Mitarbeitende oder Mitarbeitender als Teil des Teams, wertgeschätzt und fair behandelt? Erlaubt und fördert das Klima Lernen und Entwicklung? Werden notwendige Ressourcen bereitgestellt? Sehen sich meine Führungskräfte als Coachs, die das Wohlbefinden und die Gesundheit der Mitarbeitenden im Fokus haben?
Nur wenn sich auch die Unternehmensspitze von der Idee einer guten Employee Experience leiten lässt, gelingt ihre Umsetzung. Diese Haltung diffundiert dann in alle Bereiche des Unternehmens, gleichsam wie der Sauerstoff durch das Blut in den gesamten Körper gelangt. In der Folge arbeiten Führungskräfte, HR, IT und Facility Management zusammen und entwickeln etwa mit Methoden des Design Thinking Möglichkeiten, um das Umfeld inspirierend zu gestalten.
Die größten Hindernisse, um eine gute Employee Experience umzusetzen, finden sich in den Überzeugungen der Führungskräfte, die ihr eigenes Erleben als Maßstab für adäquates Verhalten sehen. Heldinnen- und Heldengeschichten darüber, wie sie sich mit Hierarchen gerieben haben, sowie ungesunde Arbeitsbedingungen ("Damals im Container ...") werden verklärt und das Fehlen der nötigen Ausstattung ebenso schöngeredet wie die Kultur des "Nicht geschimpft ist genug gelobt". Alte Verletzungen hindern dabei, Glaubenssätze aufzugeben, Fremdes wird unbewusst abgewertet, wodurch man sich selbst erhöht. Vor diesem Hintergrund gilt es, über den eigenen Schatten zu springen und zu akzeptieren, dass sich die Zeiten verändert haben und das Zusammenspiel in den Organisationen nach neuen Gesetzmäßigkeiten verläuft.