Menschen brauchen Orientierung, vor allem in der digitalen Welt, wo Menschen und Maschinen eng zusammenarbeiten. Ein komplexer Vorgang, der Unternehmen einiges abverlangt, besonders ihren Führungskräften, weiß Markus Tomaschitz, Vice-President Human Resources bei AVL in Graz, im Interview für den neuen Hernsteiner 1/2017.
Kommunikation – das Um und Auf
Die Veränderungen in den Organisationen sind vielerorts enorm: Roboter übernehmen Administratives, Computer viele Denkaufgaben, die Maschinen vernetzen sich miteinander. Wo aber bleibt dabei der Mensch? – Er ist weiterhin am wichtigsten, so Tomaschitz, vor allem, wenn es um komplexe Aufgaben und die Kommunikation miteinander geht.
Entscheidend in dieser Transformation: den Menschen die Sorge und Angst vor diesen Neuerungen zu nehmen. In erster Linie jenen, die nicht gleich voller Enthusiasmus alle digitalen Errungenschaften begrüßen und als Early Movers auf den neuen Zug aufspringen.
Neue Arbeitsorganisation ist Führungsaufgabe
Der Erfolg dieses digitalen Wandels liegt in der Hand jeder Führungskraft. Von ganz oben muss klar kommuniziert werden, was verlangt wird. Das heißt auch, die Potenziale der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu fördern und neue Begabungen zu wecken. Die Führungsspitze ist hier gefordert,
- den Mitarbeitenden mehr Eigenverantwortung und Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung zu geben,
- Leistung einzufordern und
- Sinn zu vermitteln.
Wenn zusätzlich auch die Personalentwicklung richtige Maßnahmen setzt, um diese Postulate zu erreichen, und der Mitarbeiterkreis in seiner Arbeit Bestätigung findet, steht einem erfolgreichen Transformationsprozess (fast) nichts mehr im Wege.
Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Markus Tomaschitz
Lisa Kratzer: Wie verändert sich die Arbeitswelt?
Markus Tomaschitz: Derzeit werden eher in den Bereichen der ehemaligen Blue-Collar-Worker die Menschen durch Maschinen ersetzt – ich betone: noch. Wir beschäftigen uns aber mit der Frage: Wo können uns Computer und Roboter Wissensarbeit oder administrative Agenden abnehmen?
Können Sie Beispiele nennen?
Die Aufzeichnungen eines Werksfahrers zum Beispiel. Sein Handy misst heute: Wo fährt er hin? Wie lange war er unterwegs? Hält er seine Ruhezeiten ein? Dass er das nicht manuell evaluieren muss, erleichtert ihm die Arbeit. Allerdings muss er richtiges Daten-Management beherrschen. Auf diese komplexe Kommunikation muss der Mitarbeiter auch vorbereitet werden. Was gebe ich wann und wie ein? Ein anderes Beispiel ist die Entortung der Arbeit. Sie teilen heute Daten, sind per Skype verbunden. Virtual Reality ist da meiner Meinung nach der nächste Schritt: Der Kollege aus Japan und Sie haben dann Brillen auf und denken, Sie wären im gleichen Raum.
Was ist neu am Zusammenspiel von Mensch und Maschine?
Bisher haben wir das Denken übernommen und die einzelnen Aufgaben den Maschinen kommuniziert. Neu ist, dass sich die Dinge vernetzen, miteinander kommunizieren, für uns Denkaufgaben übernehmen.
Was brauchen die Leute dafür an Rüstzeug?
Zuerst einmal müssen die Menschen zwar nicht programmieren, aber das Gerät richtig einsetzen können. Und ganz wesentlich ist Handlungskompetenz, also die Fähigkeit, Know-how und Erfahrung in Resultate überzuführen. Hier kommt dem Thema Kommunikation eine besondere Rolle zu. Der Mensch hat im Gegensatz zum Computer Kontextfähigkeit, er kann zwischen den Zeilen lesen, merkt, wohin sich ein Gespräch entwickelt. Es gibt Kulturen, da kann ein "Ja" 17 Bedeutungen haben. Da kann kein Computer mithalten. Die beiden Bereiche, wo wir wirklich Menschen brauchen, sind der Umgang mit komplexen Mustern und die Kommunikation. Es ist wichtig, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Ängste vor der Substituierbarkeit zu nehmen. Die Menschen sind das Wichtigste, denn sie lenken die Maschinen. Die wiederum gewinnen an Bedeutung, weil sie uns bei allem, was repetitiv und linear ist, entlasten und wir damit Zeit für mehr Kreativität haben.
Gelingt es in Ihrem Unternehmen, die frei werdende Zeit für Kreativität zu nutzen?
Nicht in dem Ausmaße, wie ich es mir wünschen würde. Ein Mitarbeiter, der tut, was er gut kann, sieht seinen Erfolg. Man muss die Menschen aber dazu bringen, ihre Komfortzone zu verlassen und neue Begabungen zu entdecken.
Was gibt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Orientierung in der Veränderung?
In erster Linie Bildung und Ausbildung, also die Potenziale, die sie schon in den Job mitbringen. Die Entwicklung im Unternehmen müssen wir sicherstellen. Mitgehen wollen dabei alle, niemand will unbeschäftigbar werden. Die Frage ist: Wie halten wir es mit der Geschwindigkeit? Die Early Movers, die Stars im Unternehmen, galoppieren ohnehin los. Aufgabe der Personalarbeit ist es, alle anderen mitzunehmen. Hier sind 3 Dinge entscheidend: Die Führung muss klar kommunizieren, was verlangt wird, die Personalentwicklung muss richtige Maßnahmen setzen und das Dritte ist die Bestätigung durch die Arbeit selbst. Entwicklung passiert ja letztlich aus Aufgaben heraus und mit der Herausforderung.
Was bremst das Arbeiten in der digitalen Welt?
Es muss uns gelingen, Arbeitsumwelten zu schaffen, die adhokratisch funktionieren: wenig Regeln, wenig Dokumentation, aber ein Commitment zu ein paar Vereinbarungen. Die Beschäftigung mit Markt, Kunden und Produkten muss im Zentrum stehen; bei Prozessen und Arbeitsabläufen wäre es Zeit, zu entrümpeln. Je mehr Freiheiten, Eigenverantwortung und Möglichkeiten zur Selbstentfaltung man gibt, desto höher entwickelt sich der IQ der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Was bedeutet das für Führungskräfte?
Wenn wir Menschen wie kleine Kinder behandeln, verhalten sie sich auch so. Befehlen und Gehorchen wird es im Produktionsbereich, wo klare Regeln und Prozesse wichtig sind, auch weiterhin geben. Sonst wird das an Bedeutung verlieren. Gerade bei der Wissensarbeit gibt es 3 Themen, um die man als Führungskraft nicht herumkommt: autonomes Arbeiten zu ermöglichen, Leistungsbereitschaft einzufordern und Sinn zu vermitteln. Die neuen Generationen haben einen hohen Anspruch an Organisation und Führungskräfte.
Wie geht es den Führungskräften damit?
Viele glauben nach wie vor, die fachliche Ausbildung reicht, und Management und Führung – das lernt man dann schon noch. Tatsächlich müsste man spätestens im tertiären Bildungssystem mit dem Thema "Wer will Führungskraft sein und was ist dafür erforderlich?" beginnen. Was wir heute aber auch erleben, ist, dass immer weniger junge Leute eine Führungsposition anstreben. Sie sagen: "Macht mich zu einer exzellenten Arbeitskraft im technischen Bereich, aber erspart mir das Kopfweh."
Und was können andere Unternehmen konkret von AVL lernen?
Unsere Fähigkeit, Komplexität zu meistern. Wenn es nur mehr Spezialistinnen und Spezialisten gäbe, könnte keiner mehr das Puzzle zusammenfügen. Wir sind in der Lage, über Systemgrenzen hinwegzudenken, weil wir es sehr gut schaffen, Spezialisten und Generalisten zu verbinden.
Der Hernsteiner 1/2017 widmet sich dem Schwerpunkt "Purpose". Wo liegt der Sinn? Wer braucht welche Werte? Warum kommen Antworten aus der Natur? Wie organisiert man sich neu? Und wozu braucht man mehrere Hirne? Überraschende Antworten und frische Impulse.

17.04.2016
Dr. Heinz Peter Wallner, CMC
Niemand scheint sich mehr daran zu stoßen, dass jeder zweite Artikel über Management und Führung mit dem Satz beginnt: "Die Komplexität der Welt nimmt rapide zu." Es ist wahrscheinlich so, wie es Peter Sloterdijk beschreibt: "Es lässt sich nicht leugnen, die einzige Tatsache von universaler ethischer Bedeutung in der aktuellen Welt ist die allgegenwärtig wachsende Einsicht, dass es so nicht weitergehen kann."