Leadership Magazin
Der Hernsteiner 2/2021 widmet sich dem Thema "Unternehmenskultur". Was ist der Sinn des Sinns? Und warum steht er bei manchen Pyramiden ganz oben? Was lässt Hochzeiten im Himmel scheitern? Und wie geht Unkultur?
"Führungskräfte spüren derzeit viel Gegenwind", meint Hernstein Trainer Markus Merlin im Interview mit Redakteur Gerhard Mészáros. Er beobachtet in seiner Praxis als Berater und Coach eine grassierende Führungsangst. Welcher Unterschied zwischen Harmonie und Wertschätzung besteht, wie Führungskräfte mit den unterschiedlichen Bedürfnissen umgehen können und wie Führung aus der richtigen Haltung entsteht, lesen Sie im folgenden Gespräch.
Geben sich Führungskräfte selbst auf, wenn sie zu sehr auf die gute Stimmung im Team achten? Ja, sagt Markus Merlin. Er beobachtet in seiner Praxis als Berater und Coach eine grassierende "Führungsangst". Auf der einen Seite brummt die Wirtschaft, neue Aufträge trudeln ein, als Führungskraft hat man die Verantwortung, den Aufschwung nicht zu verpassen. Auf der anderen Seite eine Belegschaft, die sich bereits überstrapaziert fühlt und bei noch mehr Druck ihr Engagement zurückfahren könnte – wenn sie nicht gleich den Arbeitsplatz wechselt. "Die Führungskräfte spüren derzeit viel Gegenwind", sagt Merlin. Und trauen sich daher oft nicht, ihren Teams das zuzumuten, was aus ihrer Sicht eigentlich notwendig wäre. "Wenn ich mich zu sehr der Stimmung anpasse und die Harmonie über alles stelle, dann verliere ich mich als Führungskraft selbst", so der Leiter des Hernstein Trainings "Living Leadership – Haltung schafft Führung". Der Druck vom eigenen Vorgesetzten bleibt freilich bestehen. Merlin: "Das löst innere Spannungen aus. Als Führungskraft zahlt man da drauf."
Doch bleibt überhaupt eine andere Wahl? Ja, sagt Merlin auch hier. Wesentlich für die Motivation ist, ob man sich als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter wertgeschätzt fühlt. Seinem Team nichts zumuten zu wollen, ist aber gerade kein Ausdruck von Wertschätzung – sondern von Angst. Mehr noch: Es ist sogar ein Zeichen für mangelnde Wertschätzung. "Ich muss Realitäten zumuten können", sagt Merlin. "Aber das Wie ist entscheidend. Ich sollte dem Team den Raum geben, Stellung zu nehmen, eigene Sorgen und Ansichten auszudrücken. Das ist wie bei einem Kelomat – der Druck muss rauskönnen."
Das ist die Kehrseite der Realitätsnähe: Die Führungskraft sollte in der Lage sein, die Sichtweise der Mitarbeitenden wahrzunehmen und einen etwaigen Widerspruch zur eigenen auszuhalten. Merlin: "Es ist ein Zeichen von Wertschätzung und damit die notwendige Voraussetzung dafür, die anstehenden Aufgaben anzupacken: die Dinge nicht schönzureden und zuzudecken, sondern zu den Fakten zu stehen."
Herr Merlin, im Training "Living Leadership" betonen Sie, dass Führung eine Haltung ist. Was bedeutet das?
Markus Merlin: Wenn ich mich in einem Gespräch mit einer anderen Person an einem Leitfaden orientiere, dann ist kein wahrer Dialog möglich. Denn jede Methode beruht auf bestimmten Annahmen über die Menschen. Wenn jemand spürt, dass er auf ein allgemeines Prinzip reduziert wird, zieht er sich als Person zurück. Was bleibt, ist der Funktionsträger. Das Problem: Ausschließlich die Person ist motivierbar, kann Engagement entwickeln und Verantwortung übernehmen. Ich brauche eine bestimmte innere Haltung, um den Raum zu schaffen, in dem echte Gespräche und wirkliche Begegnung möglich sind.
Warum ist das wichtig?
Weil ich Menschen nur auf Augenhöhe wirklich führen kann, nicht mit der Unterstützung einer hierarchischen Position. Wenn ich von Person zu Person sprechen möchte, muss ich mich von der Rolle lösen, ranggleich auf den anderen zugehen. Es ist das Normalste auf der Welt, dass Menschen den gleichen Sachverhalt unterschiedlich erleben. Es scheint mir sehr würdevoll zu sein, in Erfahrung zu bringen: Wie erlebst du die Situation? Wie gelingt es uns gemeinsam, Zukunft zu gestalten? Diese Haltung ist sowohl in privaten als auch in beruflichen Beziehungen sehr hilfreich. Führungskräfte sind idealerweise keine Macher, sondern können in anderen das Verlangen wecken, etwas zu machen.