Leadership Magazin
Der Hernsteiner 2/2021 widmet sich dem Thema "Unternehmenskultur". Was ist der Sinn des Sinns? Und warum steht er bei manchen Pyramiden ganz oben? Was lässt Hochzeiten im Himmel scheitern? Und wie geht Unkultur?
Sie wollen wissen, ob Sie auf dem richtigen Weg sind? Ein Tipp: Sprechen Sie darüber. Wir zeigen Ihnen, welche Vorteile eine neue Kultur des Dialogs bringt, etwa für das Engagement und die Selbstverantwortung Ihrer Mitarbeitenden. Mit der richtigen Kommunikation etablieren Sie zudem einen Common Purpose, bei dem alle um den Sinn und Zweck ihres Handelns wissen.
Wer in feuchten Herbstwäldern gemeinsam mit einigen Freundinnen und Freunden Pilze sammelt, braucht mehr als Fachwissen. Hilfreich ist auch gutes Teamwork: Alle kennen den Sinn des Unterfangens, verständigen sich auf ein grobes Ziel, zum Beispiel bestimmte Pilzarten zu finden, und auf einen möglichen Weg dorthin. Die Person mit den meisten Informationen geht voran. Die anderen schwärmen links und rechts von ihr aus. Dann stimmt man sich idealerweise laufend durch Zurufe im Wald über die aktuellen Erfolge und Misserfolge beim Suchen ab. Die Summe dieser einzelnen Erzählungen ergibt ein Gesamtbild der Gruppe, das beim laufenden Anpassen der Suchstrategie hilft. Und am Ende steht hoffentlich ein Korb voller frischer Waldpilze.
Der Wald, in dem sich Unternehmen bewegen, wurde seit der Coronapandemie immer dichter und unwegsamer. Es wird immer schwieriger, Aussagen über die Zukunft zu machen. Warten ist aber die falsche Strategie. Wir müssen Entscheidungen treffen – hinein in einen Hoffnungsraum, ohne zu wissen, was richtig ist. Die gute Nachricht: Der Mensch ist gut darin, intuitive Entscheidungen zu treffen. Dafür braucht er aber Futter, im Sinne von laufenden Informationen darüber, welche Erfahrungen im Unternehmen auf welchen Ebenen gerade gemacht werden. Und dafür braucht es wiederum Dialog – mehr denn je, intensiver denn je, das gesamte Unternehmen umfassend. Die Kommunikation darf nicht nur bei den offiziellen Terminen stattfinden, sondern auch spielerisch während des Tuns. Es ist wie beim Pilzesammeln: Man ruft sich ständig zu, was man gerade sieht und welcher Weg Erfolg versprechend aussieht. Dabei geht es nicht um Selbstdarstellung, sondern um eine möglichst engmaschige Abstimmung, um den Wunsch, das große Ganze zu verstehen – zu verstehen, ob die gesamte Gruppe auf dem richtigen Weg ist. Beginnen Sie bewusst damit, sich häufiger auszutauschen. Tut Gutes und redet möglichst viel darüber! Und zwar in unterschiedlichsten Konstellationen. Der Zufall im Austausch sollte bewusst genährt werden.
Dieses mannigfaltige Stimmengewirr ist die eine Hälfte der Unternehmenskultur – das tatsächliche Narrativ des Unternehmens, die vielen Menschen, die ihrer Arbeit nachgehen und darüber reden, sei es am Schreibtisch, in der Teeküche oder daheim. Der andere Teil der Unternehmenskultur ist die Strategie von oben, die offizielle Mission und der Sinn, die vom Topmanagement vorgegeben werden. Diese beiden Ebenen sollten sich in einem permanenten Dialog miteinander befinden. Eine besondere Verantwortung kommt dabei den Führungskräften auf den mittleren Hierarchieebenen zu. Sie müssen das "Big Picture", das sie von oben bekommen, in die unterschiedlichen Sprachen übersetzen, die im Unternehmen gesprochen werden, und auf diese Art weitergeben. Umgekehrt müssen sie das tatsächlich erzählte, vielstimmige Narrativ aus dem Unternehmen aufgreifen und nach oben transportieren. Diese Transmissionsfunktion des mittleren Managements ist essenziell, um den großen aktuellen Widerspruch aufzulösen: Die Unternehmen müssen neue Wege gehen, aber zugleich wird es immer schwieriger, die Menschen auf diese Reise mitzunehmen. Menschen fühlen sich in Unsicherheitswelten nicht wohl. Sie empfinden Angst, fürchten um ihren Job, ziehen sich daher zurück und gehen auf Nummer sicher. Sie verrichten lieber Dienst nach Vorschrift und vermeiden mögliche Fehler, als Experimente zu wagen – dabei wäre gerade das jetzt notwendig. Gleichzeitig verfällt das Topmanagement oft in einen Panikmodus und Kontrollwahn, versucht, noch mehr und noch genauer zu steuern, anstatt zuzuhören – dabei wäre genau das jetzt notwendig. Ein intensiver Dialog neuer Qualität kann 2 Funktionen erfüllen: Informationen und Erfahrungen nach oben weiterleiten und ein Verständnis für den Sinn des Ganzen im Unternehmen verankern. Auf Basis dieses Dialogs kann sich Kultur entwickeln. Und dieser Dialog braucht völlig neue Informations- und Kommunikationswege in alle Richtungen.
Wenn alle Menschen wissen und spüren, was genau ihr Beitrag zu Sinn und Zweck des Gesamtunternehmens ist ("Common Purpose"), stellen sich kaum mehr Verantwortungs- oder Zuständigkeitsfragen, sie sind motivierter und verhalten sich von selbst richtig. Dazu muss dieser Sinn transparent und einfach dargestellt werden. Neue Strategien brauchen zur Umsetzung sinnvolles Leadership, das den Sinn spürbar macht und zu geeigneter Veränderung einlädt. Darauf hat bereits Robert Dilts mit seinem "Modell der logischen Ebenen" hingewiesen.
Wie funktionieren Veränderungen in Organisationen? Der amerikanische Trainer und Berater Robert Dilts hat ein Modell dafür entwickelt. Dieses "Modell der logischen Ebenen" sagt zunächst aus, dass es bei Veränderungen nicht nur um das Verhalten von Menschen geht. Die unterschiedlichen Bereiche, die es zu berücksichtigen gilt, kann man in Form einer Pyramide darstellen. Die Ebenen wirken dabei von oben nach unten. Das heißt zum Beispiel: Die Fähigkeiten einer Person beeinflussen ihr mögliches Verhalten. Aber ihre Werte beeinflussen sowohl, welche Fähigkeiten sie erwirbt, als auch, wie sie sich verhält. An der Spitze der Pyramide steht der Sinn. Warum ist eine Veränderung wichtig und welche Ziele werden damit verfolgt? Wenn das Team die Zielsetzung einer Maßnahme versteht und akzeptiert, wird sich auch das Verhalten ändern. Wenn nur bestimmte Verhaltensweisen geschult werden, aber der Sinn dahinter nicht klar wird, wird sich auch das Verhalten nicht dauerhaft ändern. Der Sinn ist entscheidend für sämtliche anderen Ebenen – und damit letztlich für das Gelingen von Veränderungsprozessen.
Führen ist ein wenig wie Ver-Führen im Sinne von laufenden Impulsen zu einer Verhaltensänderung der Menschen. Die Einleitung einer Veränderung in der Unternehmenskultur selbst braucht neben der klaren Kommunikation neue Signale und Symbole für den Sinn. Dazu kann eine neue Funktion, wie etwa ein "Head of Transformation", als ein "institutionalisierter First-Mover" dienen, der den angestrebten Sinn des großen Ganzen verkörpert. Er ist eine Art Kulturbotschafter, der das Wofür der Veränderung auf allen Unternehmensebenen erklärt und das Wie vorlebt. Quasi Veränderung zum Angreifen. Wenn es dann gelingt, möglichst rasch eine kritische Menge von weiteren Führungskräften dazu zu bewegen, im Sinne des neuen großen Ganzen ebenfalls mit gutem Beispiel voranzugehen, dann werden destruktive Bewahrerinnen und Bewahrer tendenziell schnell zu Außenseitern. Ein solcher Kipp-Punkt ("Tipping-Point") bewirkt sehr rasch, dass der alte Weg gar nicht mehr vermisst wird. Und sich eine neue Kultur etabliert – und das Unternehmen erfolgreich neue Wege beschreitet.