Remote führen: So funktioniert Führung aus der Distanz
Klare Rahmenbedingungen, Vertrauen und regelmäßige Meetings machen einen guten Führungsstil aus, ob in Präsenz oder aus dem Homeoffice. Holen Sie sich Anregungen, wie remote Führen erfolgreich gelingen kann, und entdecken Sie, wo die Tücken liegen. Arbeits- und Organisationspsychologe Christian Korunka im Interview mit Eva Woska-Nimmervoll.
Wie führt man im Homeoffice?
Herr Korunka, was brauchen Führungskräfte, wenn sie remote führen?
Christian Korunka: Die Bereitschaft zum Vertrauensvorschuss. Am Anfang des Lockdowns hatten viele Führungskräfte diese Bilder im Kopf: Jetzt sitzen alle zu Hause und tun nichts. Dann erlebten sie, dass es sich lohnt, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu vertrauen. Natürlich: Vertrauen trägt immer ein Stück Risiko in sich. In einem Interview sagte mir ein Angestellter: "Ich war mir nicht sicher, ob ich den Geschirrspüler ausräumen darf, während ich im Homeoffice bin." Das zeigt: Er nimmt seine Verantwortung ernst.
Welche Probleme gibt es beim Führen von verstreuten Teams?
Führungskräfte denken womöglich, wenn sie nämlich vertrauen: „Die machen das schon.“ Doch die vertrauensvolle Basis bedeutet auch, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht allein gelassen werden. Dafür braucht es klare Rahmenbedingungen und einen permanenten Rückkopplungsprozess. Sonst entsteht bei den Mitarbeitenden der Eindruck, dass es der Führungskraft egal ist, wie sie arbeiten. Nach dem Motto: "Hauptsache, ich bringe es irgendwie hin."
Genügt das nicht, wenn ohnehin alles klar ist bis zur Deadline?
Die Mitarbeiterin, der Mitarbeiter kann zwar selbst entscheiden, wo und wann sie oder er die Arbeit macht. Doch als Führungskraft sollte ich die Verantwortung für den Prozess übernehmen und unterstützend zur Seite stehen. Diese paradoxe Spannung zwischen Loslassen und doch da sein zu überbrücken, zeugt von einem guten Führungsstil. Also: Einerseits Vertrauen haben, andererseits die Autonomie aktiv unterstützen.
Inwiefern ist es Aufgabe der Führungskraft, Menschen zur Autonomie zu erziehen?
Führung ist nicht mit Erziehung zu verwechseln. Ich finde es problematisch, wenn Führungskräfte im Unternehmen ein Familienbild entwickeln. Ich habe einmal ein Unternehmer-Paar gesehen, das sich wie Eltern benahm, inklusive gemeinsamen Mittagessens und Abendprogramms. Das mag im patriarchalen Sinne gut gemeint sein, ist aber keinesfalls etwas, das gute Führung ausmacht. Das Menschenbild dahinter ist jedoch sehr wohl vergleichbar: "Ich unterstütze dich, lasse dir viele Möglichkeiten offen und vertraue dir."
Manche Unternehmen sehen sich sogar als eine Art Familie.
Ich verstehe das, weil wir in einer Zeit leben, in der Bindungen weniger werden, insbesondere von Mitarbeitenden zu Unternehmen. Wir haben alle das Bedürfnis nach sozialer Einbindung – das kann im Privaten und auch im Büro erfüllt werden. Am Arbeitsplatz sollte es bedeuten, dass ich als Person mit meinen Schwierigkeiten ernst genommen werde. Aber ich bin nicht Ersatz für Partner, Schwester, Kind.
Wie erzeuge ich im Homeoffice ein Teamgefühl?
Im Büroalltag läuft Kommunikation einfacher ab, weil während der Kernzeiten ohnehin alle anwesend sind. Da muss ich nicht extra für jedes kurze Gespräch einen Termin vereinbaren. Im Homeoffice hingegen sind Kernzeiten nicht selbstverständlich. Darum braucht es zeitliche Präzision, klare Vereinbarungen, regelmäßige Meetings – ob die virtuell oder tatsächlich stattfinden, ist zweitrangig. Die Aufgabe der Führungskraft ist es, auf all diese Dinge zu achten, ohne dass sich das Team überwacht fühlt.
Nicht alle können mit Autonomie gleich gut umgehen …
Trotzdem sollte man allen das gleiche Maß an Autonomie zumuten – also jenen, die mehr Projekterfahrung haben, genau wie anderen, die diese Erfahrung noch nicht haben. Das Bedürfnis nach Autonomie steht in einer dynamischen Spannung zu jenem nach sozialer Einbindung. Diese Gegensätze zu überbrücken ist Aufgabe der Führungskraft.
Was muss ein Team können, um im Homeoffice erfolgreich zu arbeiten?
Bei remote Führung ist immer Self-Leadership, also Self-Management, gefragt. Das bedeutet unter anderem, am Projekt dran zu bleiben, obwohl ich jederzeit am Bildschirm private Dinge erledigen oder hinausgehen und das schöne Wetter genießen kann. Das betrifft Selbstständige ja immer schon.
Wie wird sich das Thema "remote Führen" entwickeln?
Hybrid-Konzepte aus Homeoffice und Präsenzzeiten könnten in Zukunft gut funktionieren. Und auf jeden Fall darf man nicht vergessen, dass das Thema Homeoffice trotz Corona nur 15 bis 20 Prozent aller Tätigkeiten betrifft. Die Jobs, von denen wir sprechen, sind meist anspruchsvolle Tätigkeiten mit hohem Akademikeranteil.