Wie können Sie in der Krise Leistungsfähigkeit und Kreativität hochhalten? – Indem Sie gehirngerecht führen, sagt Neuro-Coach Hannes Horngacher. Sein Tipp: Holen Sie Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf der emotionalen Ebene ab und sorgen Sie für klare Ziele, Orientierung und Sicherheit. Sie fördern damit die Motivation Ihres Teams.
Was ist gehirngerechtes Führen?
Herr Horngacher, Sie beschäftigen sich als Berater und Coach seit über 20 Jahren mit gehirngerechtem Führen. Hat die neurowissenschaftliche Forschung seither neue Einsichten gebracht, die im Management und Leadership bestimmte Vorgehensweisen nahelegen?
Hannes Horngacher: Seit gefühlt ewigen Zeiten wissen wir grundsätzlich schon, dass es in der Kommunikation eine Sach- und eine Beziehungsebene gibt. Aber heute kann man viel genauer belegen, dass Emotionen in ganz wesentlicher Weise die Motivation und Entscheidungen beeinflussen. Das limbische System – jener Teil des Gehirns, in dem Emotionen verarbeitet werden – hat eine zentrale Bedeutung für das Führen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. In der Kommunikation ist die emotionale Ebene wesentlich. Pointiert ausgedrückt ist eine Information ohne Emotion für das Gehirn wertlos.
Wir erleben eine Jahrhundertpandemie, die das Arbeitsleben vieler Menschen auf den Kopf gestellt hat. Wie reagiert das limbische System auf eine solche Ausnahmesituation?
Eine solche Situation – Unsicherheit, wie es weitergeht, Veränderung der bisherigen Routinen, Organisation des Homeoffice bin hin zur Nutzung vieler neuer Tools – erzeugt Stress und vielfach auch Angst. Dieser Stress hat auch Auswirkungen auf den Organismus, er wird in Alarmbereitschaft versetzt. In der Folge werden wichtige Gehirnzentren wie Verstand und Kreativität heruntergefahren, die Motivation sinkt.
Kann Angst nicht auch notwendige Veränderungen anstoßen?
Angst funktioniert als Motivator sogar richtig großartig. Denn die Angst, zum Beispiel vor drastischen Strafen, spricht sehr alte, tief sitzende Gehirnareale an. Das motiviert klarerweise zur Veränderung – wir verändern unser Verhalten, um unangenehme Erfahrungen zu vermeiden. Allerdings hat diese Art der Veränderung einen großen Nachteil: Je ausgeprägter der Stress und die Angst, desto stärker werden Leistungsfähigkeit und Kreativität beeinträchtigt.
In manchen Unternehmen befindet sich die Belegschaft seit über einem Jahr im Homeoffice. Gewöhnt sich das Gehirn irgendwann an die neue Situation?
Ja, das ist ganz generell eine Möglichkeit, um Veränderungen durchzuführen: Indem wir Menschen vor vollendete Tatsachen stellen. Nach einer gewissen Zeit stellt sich durch die ständige Wiederholung eine Gewöhnung ein. Man denkt sich: Aha, das ist halt die neue Realität. Tatsächlich sehen ja viele auch Vorteile im Homeoffice: Man kann unter Umständen fokussierter arbeiten, Meetings laufen kürzer und effizienter ab. Allerdings freuen sich die Menschen immer mehr auf den Kontakt mit anderen, gehen freiwillig wieder ins Büro, um Kolleginnen und Kollegen zu treffen. Das Gehirn ist eben ein Sozialorgan.
Wie sollen Führungskräfte auf diese Situation reagieren?
Ein Tipp wäre, auf das soziale Miteinander auch in der virtuellen Welt bewusst zu achten, bewusst Small Talk zu führen, die emotionale Ebene zu pflegen. Führungskräfte sollten Menschen Sicherheit geben, für klare Ziele und Orientierung sorgen und sich noch mehr bewusst sein, dass die eigene Vorbildwirkung einen wesentlichen Einfluss auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat.
Warum ist zwischenmenschliche Kommunikation eigentlich so schwierig?
Das Gehirn ist sehr komplex und sehr individuell gestrickt. Neben der logisch-rationalen Ebene gibt es immer auch die emotionale Bewertung in der Kommunikation. Die rund 100 Milliarden Nervenzellen, aus denen jedes Hirn besteht, sind bei jedem Menschen auf eine andere Art miteinander verknüpft, weil wir alle in unserem Leben ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben. Ein Wort kann bei 2 Menschen unterschiedliche Bilder im Gehirn abrufen. Daher sind Missverständnisse nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Mein Tipp deshalb: Noch präziser kommunizieren und nachfragen, wie etwas angekommen ist. Als Führungskraft braucht man die Sensibilität und Beobachtungsgabe, wie Informationen beim anderen ankommen. Die große Kunst besteht darin, unterschiedliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf eine individuell motivierende Art emotional abzuholen.
Literatur
Hannes Horngacher: Neuroleading – Tipps zum gehirngerechten Führen von Teams und Menschen. Gehirn-Wissen kompakt, 2019
Der Hernsteiner 1/2021 widmet sich dem Schwerpunkt "Gesundheit". Die Kunst des Gleichgewichts. Die Härte weicher Fakten und das Hilfreiche an Ängsten. Neue Mittel gegen eine Volkskrankheit. Und jede Menge Pausentipps. Überraschende Antworten und frische Impulse.

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