Lernkonzepte jenseits von Romantik und Kostendruck
Wenn es ums Konzept und ums Budget von Weiterbildung geht, treffen Romantiker oft auf Zahlendreher. Um gute Argumente und vor allem gute Bildungsideen zu erhalten, können sich Experten und Expertinnen für Bildung und Personalentwicklung von modernen Umweltschutzkonzepten anregen lassen: „Intelligente Verschwendung“ könnte das Motto sein.
Cradle to Cradle
Der Chemiker Michael Braungart ist sicherlich einer der quirligsten Querdenker unserer Tage. Zusammen mit dem amerikanischen Architekten William McDonough hat er das „Cradle-to-Cradle“-Konzept formuliert. Es verfolgt das ehrgeizige Ziel, dass ein Produkt in einem Kreislauf „von der Wiege zur Wiege“ als Wertstoff gut und nützlich ist und niemals Abfall wird. Dem Denken des Sparens, des Verzichts und des Reduzierens setzt er ein bewusst selbstbewusstes Ausrufezeichen entgegen: Verschwendet! Konsumiert! Aber produziert keinen Müll und keine Schadstoffe! Personalentwickler und -entwicklerinnen tun gut daran, sich von seinen Gedanken inspirieren zu lassen. Statt ihre Programme zu kürzen, Kompromisse einzugehen und Downcycling zu betreiben, würden sie mit Upcycling besser fahren: der Vervollkommnung von bestehenden Prozessen und Methoden, sodass Abfall, Ausfall, Reste oder Belastungen gar nicht erst entstehen.
Glorifizierung nicht erwünscht
Michael Braungart geht es um nicht weniger als um die Vervollkommnung des Lebensstils. Überspitzt gesagt wäre für ihn die endgültige Zerstörung unserer Welt vor allem eins: ein kapitaler Designfehler. Er ist unerschütterlicher Optimist. Unser Problem ist nicht Ressourcenknappheit. Unser Problem ist mangelhaftes Design. Deshalb unterscheidet sich sein „Cradle-To-Cradle“-Ansatz von vielen anderen Umweltinitiativen. Er geht von anderen Voraussetzungen aus. Und er hat ein typisches Denkmuster ausgemacht: das Romantisieren von „Mutter Natur“. „Wir glorifizieren die vorindustrielle Vergangenheit, den Lebensstil und das gemächliche Tempo von Stammesgesellschaften und manchmal fragen wir uns sogar, wie es wäre, wenn wir die Uhr zurückdrehen und so leben würden, wie es diese Völker einst taten.“
Werte versus Zahlen
Menschen mit Hang zur Romantik gibt es nicht nur im Natur- und Umweltschutz, sondern auch in den Bereichen Personalentwicklung, Bildung, Training und Coaching: Sie beschwören traditionelle Bildungsbegriffe, wünschen sich mehr Zeit für Training, mehr Aufmerksamkeit für Personalentwicklung und einen höheren Stellenwert für Bildung. Leider stoßen diese Menschen oft auf Geschäftsleute und Führungskräfte, für die Werte fast nie die richtungsweisenden Prinzipien sind, wie Braungart feststellt: „Es geht eher um einen Abgleich zwischen den vorgegebenen Rahmenbedingungen und den bestehenden Bedingungen – 15 Prozent weniger, 50 Millionen gespart. Ein finanziell erfolgreiches Jahr.“ Im Wettstreit mit den Zahlenmenschen fehlen den Romantikern und Romantikerinnen oft die Argumente. Die Folge: gekürzte Budgets, gestraffte Programme und die Frage „Kann der Trainer statt mit 2 auch mit 1 Tag auskommen?“. Würde man den Designer Braungart hinzubitten, würde er sicherlich anmerken, dass die Diskussion in eine völlig falsche Richtung läuft. Personalentwicklern und -entwicklerinnen würde er empfehlen, bei der Ausarbeitung und Kommunikation ihrer Programme eine ganz neue Dimension hinzuzufügen: „Es geht darum, die Frage zu stellen: Wie geht’s weiter?“ Vielleicht haben wir Personal- und Bildungsfreunde den Stellenwert und den Zauber dieser Frage für uns noch immer nicht richtig erkannt.
Nein, natürlich geben wir uns nicht damit zufrieden, in Seminaren bloß theoretisches Wissen auf Vorrat zu vermitteln. Auf jeden Fall streben wir nach möglichst viel Praxisbezug und Lernen an Realprojekten. Und doch sehen wir noch viel zu oft Lernen und Managen als getrennte Kreisläufe. Wenn wir nun unsere Formate upcyceln, dann müssten wir uns nicht mehr fragen (lassen), wie sich der Inhalt von 3 Tagen in 2 Tagen vermitteln lassen kann (vielleicht mit Blended Learning?). Wir fragen vielmehr: Wie lässt sich diese Situation, zu der verschiedene Menschen zusammenkommen, ideal nutzen? Was lässt sich herstellen? Was vereinbaren? Und vor allem: Wie geht’s weiter? Im Sinne der Cradle-To-Cradle-Philosophie lässt jedes Seminar, jeder Workshop oder jedes andere Lernformat etwas Neues entstehen: ein Projekt, eine Verbesserung, einen neuen Ansatz – oder eine neue Frage, die Türen öffnet. Es geht also nicht darum, Lehrinhalte zu reproduzieren und zu „downcyceln“, sondern direkt auf die Produktivität im Unternehmen einzuwirken. Ein Ziel, das weit über das hinausgeht, was in gängigen Seminarbeschreibungen und Workshop-Einladungen formuliert ist. Vermessen? Vielleicht. Es kann aber auch sein, dass viele unserer Angebote genau das schon leisten. Dann sollten wir das auch sagen. Nennen wir es „intelligente Verschwendung“ – und stehen wir dazu.

Lesetipp: Michael Braungart/William McDonough: Intelligente Verschwendung. The Upcycle: Auf dem Weg in eine neue Überflussgesellschaft. München, 2013.