Frugale Innovation: Die Kunst des Weglassens
Weniger ist bekanntlich oft mehr - das ist auch das Prinzip der frugalen Innovation. Darunter versteht man die Vereinfachung von Produkten, ohne unnötige Features, die damit kostengünstiger werden. Das Marktpotenzial dafür ist groß.
Im Brennpunkt: Die "frugale Innovation" war in Österreich bisher nur ein Nischenthema. Doch jetzt werden Vereinfachung und der Fokus auf das Wesentliche für alle Unternehmen wichtig. Grund dafür sind die aktuellen Krisen, sagt Innovationsforscher Karl-Heinz Leitner im Interview.
Was ist die Definition von frugaler Innovation?
Herr Leitner, was ist die Bedeutung von "frugaler Innovation"?
Karl-Heinz Leitner: Dass weniger manchmal mehr sein kann. Der Begriff ist vor gut 10 Jahren entstanden. Unternehmen haben begonnen, spezifische, besonders kostengünstige Produkte für Entwicklungs- und Schwellenländer zu produzieren. Ihr Erfolgsrezept: unnötige Spielereien weglassen und sich auf das Wesentliche konzentrieren. Diese Vereinfachung wird als frugale, also sparsame oder einfache Innovation bezeichnet. In Österreich ist der Begriff etwa in den Jahren 2014 und 2015 aufgeschlagen, aber bisher eher ein Nischenthema geblieben.
Für welche Unternehmen ist das Prinzip der frugalen Innovation relevant?
Zum einen für exportorientierte Unternehmen, die neue Märkte in Afrika, Asien oder Lateinamerika erschließen wollen. Es gibt einige erfolgreiche Beispiele aus Österreich: Andritz hat ein Mini- Wasserkraftwerk für Madagaskar entwickelt, das ohne Spezialwissen vor Ort installiert werden kann. AVL List hat einen speziellen, kostengünstigen Motorenprüfstand auf den indischen Markt gebracht. Und dann gibt es eine zweite Entwicklung: Frugale Produkte werden derzeit auch in westlichen Ländern immer wichtiger.
Warum das?
Durch die ökologische Krise rückt der Ressourcen und Energieverbrauch stärker ins Bewusstsein. Daher steigt die Nachfrage nach einfachen, sparsamen Produkten. In manchen gesellschaftlichen Gruppen gibt es den Trend zu einem bewusst einfachen Lifestyle, zum Versuch, mit weniger Ressourcen auszukommen. In diesen Communitys spricht man zwar nicht von frugaler Innovation, sondern eher von nachhaltiger Entwicklung, Minimalismus oder Downshifting – aber letztlich meint man dasselbe.
Welche Rolle spielt die aktuelle ökonomische Situation?
Die Energiekrise und die extrem hohe Inflation beschleunigen den Trend zur frugalen Innovation. Das Bewusstsein der Menschen für den Preis sowie den Energieverbrauch hat stark zugenommen. Wenn sich Kundinnen und Kunden ein Produkt nicht mehr leisten können, dann wird es zu einer Überlebensstrategie für Unternehmen, das Premiumprodukt durch eine frugalere Variante zu ersetzen. Das Marktpotenzial für vereinfachte, sogenannte "Good Enough"-Artikel hat in den vergangenen Monaten sicher zugenommen. Innovation durch Vereinfachung wird noch weiter an Bedeutung gewinnen.
Was ist so schwer daran, einzelne Funktionen wegzulassen?
Für klassisch ausgebildete Ingenieure ist es oft schwierig, auf Vereinfachung zu setzen. Auch als Konsumentinnen und Konsumenten sind wir dazu erzogen, ein Produkt umso mehr wertzuschätzen, je mehr Features es hat. Unser gewohntes Designprinzip ist Hinzufügen – man verbessert ein Produkt, indem man eine weitere Funktion dazugibt. Unternehmen versuchen durch dieses Hinzufügen Wettbewerbsvorteile zu erringen. So entsteht eine Aufwärtsspirale in Richtung Overengineering und Hyperkomplexität – zu teuren Zusatzfunktionen ohne entsprechenden Mehrwert.
Wie sieht ein "frugaler" Innovationsprozess aus?
Es reicht nicht aus, ein bestehendes Produkt nur ein wenig anzupassen. Man muss es grundsätzlich neu denken und neu designen. Die Frage ist: Was ist wirklich wichtig? Was sind die zentralen Anforderungen an das Produkt, was sind die wesentlichen Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden? Das kann man nur in Interaktion mit ihnen herausfinden. Die Produkte müssen daher vor Ort, bei den potenziellen Kundinnen und Kunden entwickelt werden. Sonst passen sie nicht zur lokalen Kultur, den tatsächlichen Bedürfnissen.
Innovation via Video-Call ist nicht möglich?
Mittlerweile zeigen viele Studien, dass räumliche Nähe eine wichtige Voraussetzung für Innovation ist. Virtuelle Meetings bieten nicht genügend Gelegenheit für echte Kreativität, für spontane Interaktion. In der Innovation muss man mit allen Sinnen arbeiten und vor Ort zusammensitzen.
Ist "frugal" nicht einfach ein Euphemismus für "billig"?
Frugale Produkte sind keine simplen "Low Cost"-Produkte. Der Unterschied ist, dass sie die speziellen Kundenbedürfnisse in vergleichsweise hoher Qualität befriedigen. Außerdem sind frugale Innovationen oft besonders langlebig, da sie weniger komplex und daher weniger filigran sind. Die Einfachheit bedeutet auch Robustheit. Das ist zugleich die Herausforderung für das Marketing: Ein zusätzliches Feature zu verkaufen ist relativ leicht. Schwieriger ist es, ein günstiges Produkt anzupreisen, ohne in die billige Ecke gestellt zu werden.