Die 3 Stufen des Lernens
Wer das Spiel von Wettbewerb und Konkurrenz beherrscht, hat beste Chancen auf Erfolg. Wenn sich das Konkurrenzspiel aber als ungeschickter Trick in einem anderen Spiel erweisen sollte, sieht die Sache anders aus: Geht es ums Schaffen von Verbindungen und Beziehungen, führt die Strategie der Selbstbehauptung nämlich zur Niederlage – und zwar erstaunlicherweise in beiden Spielen.
Das jedenfalls ist die zentrale Erkenntnis, wenn angesichts lang anhaltender Großkrisen die Transformationsfähigkeit von Unternehmen gefragt ist: Durch das sich stetig verschärfende Spiel um Selbstbehauptung werden nicht nur ökologische Verbindungen und soziale Beziehungen bedroht, sondern auch das Überleben der Spieler selbst. Was hat das mit Lernen zu tun?
Lernen 1
In Anlehnung an Studien des Anthropologen Gregory Bateson können 3 Stufen des Lernens unterschieden werden. Auf der ersten Stufe geschieht das Lernen lebender Systeme noch unbewusst. Hier wirken Rückkopplungsmechanismen, die durch positives oder negatives Feedback die Entwicklung von Organismen und deren Selbsterhaltung zur Folge haben – wohlgemerkt: „zur Folge haben“, denn bewusst bezweckt ist hier noch nichts (von wem denn auch).
Lernen 2
Bewusstes Lernen ereignet sich erst auf der zweiten Stufe. Es ist wohl ausschließlich dem Menschen vorbehalten. Selbsterhaltung und Weiterentwicklung werden von nun an gezielt betrieben: Einzelne erweitern ihre individuellen Kompetenzen, und Organisationen verbessern Produkte und Prozesse im Konkurrenzspiel um Selbstbehauptung.
Wenn das bewusste Lernen 2 der Selbsterhaltung dient, ist es eigentlich unverständlich, dass Verhaltensmuster und Gewohnheiten, die sie gefährden, sich nur schwer verändern lassen. Offensichtlich geht es auf der zweiten Stufe des Lernens aber nicht nur um die Optimierung der Selbsterhaltung, sondern auch darum, etablierte Verhaltensmuster und Gewohnheiten zu erhalten, selbst dann, wenn sie sich als kontraproduktiv herausstellen – doch warum?
„Individualität ist ein Resultat von Lernen 2. Ich bin meine Gewohnheiten“, heißt es bei Bateson. Wenn gelernte Verhaltens- und Denkmuster Identität ausmachen – sei es für Einzelne, sei es für Organisationen –, ist es kein Wunder, dass an ihnen festgehalten wird, auch wenn sie sich als gefährlich erweisen.
Lernen 3
Und auf der dritten Stufe des Lernens geht es genau darum: Gewohnheiten und Routinen, Denk- und Verhaltensmuster, und das heißt: Identität, zu verändern. Lernen 3 bedeutet, Beziehungen einzugehen, Verbindungen herzustellen. Was dabei erhalten wird, sind nicht etablierte Muster, sondern die Verbindungsfähigkeit selbst. Und jetzt wird es interessant: Natürlich geschah auch das schon lange, bevor Selbsterhaltung bewusst betrieben wurde. Kooperation und Koevolution sind Phänomene, die zur Selbstorganisation lebender Systeme von Beginn an dazugehören. Doch bewusstes Lernen hat sich bisher überwiegend auf der zweiten Stufe des Lernens, im Konkurrenzspiel, zugetragen. Wovor wir in diesem Spiel zurückschrecken, ist das mit Bewusstsein betriebene Lernen 3. Denn dazu müssten wir unsere Routinen und Gewohnheiten, dazu müssten wir unsere eigene Identität suspendieren.
WWF und Coca-Cola
Ein Beispiel: Viele Menschen beim WWF wie bei Coca-Cola schreckten 2007 vor einer Zusammenarbeit zurück. Man dürfe sich nicht mit einem Großkonzern bzw. mit einer Öko-Organisation einlassen, hieß es jeweils. Die Zusammenarbeit fand trotzdem statt – und veränderte nicht nur Prozesse und Produkte, sondern auch die Identität beider Organisationen. Und genau darum geht es auf der dritten Stufe des Lernens. Lernende optimieren und entwickeln auf dieser Stufe nicht länger nur ihre Kompetenzen, sondern werden im Lernprozess selbst andere.
Vielfalt als Bereicherung
Selbstveränderung statt Selbstbehauptung lautet daher das Motto von Lernen 3, bei Einzelnen genauso wie in Organisationen.
Für das Gelingen dieses Lernprozesses ist es vor allem wichtig, die Fixierung auf kontraproduktive Routinen der Selbstbehauptung zu lockern, ohne dass das limbische System permanent feuert. Dann erst kann die Vielfalt von Verbindungs- und Beziehungsmöglichkeiten als Bereicherung und nicht als Bedrohung wahrgenommen werden.Wie schwer das in der Praxis jedoch fällt, wird momentan nirgends deutlicher als in der gegenwärtigen Flüchtlingskrise. Abgesehen von allen humanitären Aspekten zeigt (nicht nur) diese Krise, wie unsinnig es heutzutage ist, die Komplexität der Kontexte, in denen wir agieren, zu reduzieren. Was das für Organisationen und ihre Managerinnen und Manager bedeutet, dazu nächstens mehr.
Blogbeitrag: Neugierig auf Fehler?