Gerade in Krisenzeiten sind negative Gefühle etwas ganz Normales. Wie gehen Sie als Führungskraft am besten damit um? Ingeborg Latzl-Ewald, Unternehmensberaterin und Trainerin, zeigt Ihnen, wie Sie Ihren eigenen Ängsten und Sorgen, und auch jenen Ihres Teams richtig begegnen; und wie Sie sie als Chance zur Weiterentwicklung nutzen können.
Frau Latzl-Ewald, Sie unterstützen Führungskräfte unter anderem als Coach. Mit welchen Anliegen und Problemen waren Sie in den vergangenen Monaten vornehmlich konfrontiert?
Ingeborg Latzl-Ewald: Ein gemeinsamer Nenner ist, dass momentan alle besonders viele und intensive Emotionen erleben. Gleichzeitig gibt es rund um Gefühle immer noch eine Art Tabu. Das gilt besonders für Führungskräfte. Viele müssen von ihrem Rollenverständnis her stark, allwissend, quasi perfekt sein. Die Abwehrhaltung zeigt sich aber auch im privaten Bereich. Wenn uns jemand von negativen Emotionen erzählt, tendieren wir dazu, sofort Ratschläge zu geben, das Problem lösen zu wollen – anstatt einfach mal aufmerksam zuzuhören. Manchmal wollen Menschen keine Lösung, sondern eine Umarmung. Oder zumindest ein bisschen Aufmerksamkeit.
Warum haben wir es derzeit mit besonders vielen Emotionen zu tun?
Jede Krise ist ein Verlusterlebnis. Momentan schwebt über vielen Aspekten unseres Lebens ein riesengroßes Fragezeichen. Wie geht es mit meiner Gesundheit, mit meinem Arbeitsplatz weiter? Durch das Homeoffi ce hat sich die Rolle der Führungskraft verändert, sie hat Kontrolle und damit auch Macht eingebüßt. Und wir haben viele kleine Gewohnheiten verloren, zum Beispiel einander die Hand zu geben. Unser ausgeglichenes Leben ist ein Stück weit dahin. Der Verlust an Struktur, Sicherheit und Selbstbestimmung führt zu Angst. Außerdem befinden sich mittlerweile viele Menschen in einem chronischen Erschöpfungszustand. Man spricht nicht umsonst von "Zoom-Fatigue". Mit seinen Kolleginnen und Kollegen nur per Bildschirm zu kommunizieren ist – auch durch den Mangel an nonverbaler Kommunikation und den fehlenden Blickkontakt – sehr anstrengend. Uns fehlen die kleinen Übergangsrituale wie der Wechsel des Raums nach einer Besprechung, die informelle Nachbesprechung mit dem Kollegen oder die zufälligen Begegnungen auf dem Flur.
Wie soll man mit negativen Emotionen umgehen?
Führungskräfte agieren meist problemfokussiert. Wenn plötzlich das gesamte Team ins Homeoffice übersiedelt, sehen sie die praktischen Probleme und suchen nach Lösungen dafür. Das ist natürlich sinnvoll. Aber wenn ich meine Leistungsfähigkeit aufrechterhalten will, muss ich auch auf meine psychische Gesundheit achten. Und dafür muss ich mir bewusst werden, welche Emotionen überhaupt da sind. Das Motto lautet: Name it to tame it. Wenn ich etwas benenne, dann kann ich damit besser umgehen. Bemerke ich zum Beispiel, dass ich Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes habe, kann ich mir überlegen, wie wahrscheinlich das wirklich ist.
Welche Chance verbirgt sich in der Krise?
Die Aufgabe von Führungskräften besteht darin, für Weiterentwicklung zu sorgen. Das gelingt, indem man die richtigen Fragen stellt. Und genau dabei helfen negative Emotionen. Hinter ihnen verstecken sich Bedürfnisse, hinter Angst etwa das Bedürfnis nach Sicherheit, Zugehörigkeit oder Unabhängigkeit. Wie kann ich diese Bedürfnisse befriedigen? Was kann ich tun, damit es sowohl mir als auch dem Team besser geht? Wenn man Emotionen aus dieser Perspektive betrachtet, sind sie wert volle Helfer. Sie laden uns dazu ein, Dinge zu ändern. Die Gefahr ist, dass man die Emotionen nicht wahrnimmt, sondern verdrängt. Und gerade deshalb in ihnen hängen bleibt. Wir müssen der Angst den Schrecken nehmen.
Wie kann ich meine Leistungsfähigkeit trotz chronischer Erschöpfung aufrechterhalten?
Kleine Pausen, ein Espresso zwischendurch, in der Mittagspause an die frische Luft gehen: Wir brauchen solche Mini-Oasen der Ruhe. Man kann auch im Video-Meeting mal sagen, wenn man keinen so guten Tag hat. Ich höre von vielen Führungskräften, dass sie sehr einsam sind. Diese Einsamkeit – und die damit verbundene Traurigkeit – kann man durchbrechen, wenn man sich nahbarer macht.
Ist es nicht riskant, wenn ich als Führungskraft Gefühle zeige? Werde ich dann noch ernst genommen?
Der erste Schritt ist in jedem Fall, dass ich mir meiner eigenen Gefühle bewusst werde. Ob ich sie dann auch gegenüber meinen Mitmenschen zum Ausdruck bringe, ist eine zweite Frage. Manchmal kann es in der Tat sinnvoll sein, ein starkes Image zu pflegen. Mein Rat: Überlegen Sie, wie wahrscheinlich welche Reaktion der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist. Wichtig ist, dass Sie sich bewusst für ein Verhalten entscheiden. Allein dadurch wird es Ihnen besser gehen.
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